Beiträge und Gedankene der Ethik-Kommission

26.03.2025
(Über)Lebensrealitäten in der freien Szene - ein Bericht mit Blick hinter die Kulissen
Ein Beitrag von ZOE (Marie-Zoe Buchholz)

Trotz großer Bühnen, schillernder Produktionen und prestigeträchtiger Events ist die Bilanz für viele freie Künstler*innen schwach, Tendenz sinkend.
Und trotzdem machen sie weiter, denn Kunst zu machen, ist - wie atmen - essenziell. Eine von ihnen ist Sophie Yukiko. Die gebürtige Kölnerin lebt seit über acht Jahren in Berlin und ist hier freiberuflich tätig. Als Tänzerin, Schauspielerin und Autorin - vor allem aber Künstlerin - ist sie vielseitig begabt und aufgestellt. Um als freischaffende Künstlerin in Deutschland zu überleben, ist sie auch auf die verschiedenen Karrieren angewiesen. Ich habe Sophie über ihren Werdegang, ihre Lebensrealität, Haltung, Ängste und auch Hoffnungen, insbesondere nach der Bundestagswahl 2025, befragt.

ZOE: Wie bist du zum Tanzen gekommen ?

Sophie Yukiko: Über meine Mutter, die selbst Tänzerin war. Ich war bei meinen ersten Ballettstunden noch so klein, dass ich mich an die gar nicht erinnern kann.

ZOE: War Tanz für dich schon immer politisch ?

Sophie Yukiko: Nein, das war er tatsächlich nicht, denn ich hatte das Glück, bereits früh Raum dafür zu bekommen, Tanz als Ausdruck für mich zu erfahren und gleichzeitig tanzen zu lernen, so dass ich tanzte, bevor ich eine politische Aussage treffen wollte. Für mich war Tanz eher etwas Natürliches, ein Teil meines Kreislaufs und Seins. Tanzen ordnete sich für mich als Kind und Heranwachsende eher in eine Notwendigkeit ein wie Schlafen, Essen oder Atmen. Ich blicke natürlich aus heutiger Sicht auch mit einem politisierten Blick auf mein Verhältnis zum Tanz. Die Notwendigkeit zu tanzen, die ich als Kind und Jugendliche empfand, war wahrscheinlich ein Mittel, um meine Gefühle zu regulieren und auf meine Realität zu reagieren. Die bewusste Entscheidung, Tanz und meinen Körper als politisches Werkzeug zu benutzen, kam aber erst im Erwachsenenalter.

ZOE: Wie äußert sich deine politische Haltung im Tanz ?

Sophie Yukiko: Ich glaube, ich bin noch dabei, das für mich zu erkunden – wobei ich ahne, dass diese Suche keinen Endpunkt finden wird. Meine ersten Arbeiten haben über das Verhältnis zu den Räumen, in die ich Tanz hinein inszeniert oder selbst performt habe, politisch gesprochen. Ich war sehr damit beschäftigt zu verstehen, was es bedeutet, welche Körper genau wo tanzen dürfen und welche vielleicht nicht. Aktuell beschäftigt mich eine Verhandlung mit der tänzerischen Form an sich, ihrer Bedeutung und meinem internalisierten eurozentrischen Blick auf einen vermeintlich qualitativen Tanz. Ich glaube, man könnte sagen, ich versuche – zum Teil kläglich scheiternd – meinen Tanz und damit auch ein Stück weit meinen Körper zu dekolonisieren.

ZOE: Du bist neben dem Tanz auch als Schauspielerin und Autorin tätig, Kunstformen, die vermeintlich viel direkter Botschaften transportieren und Aussagen treffen können. Trotz deiner vielfältigen künstlerischen Talente findest du dennoch immer wieder den Weg zurück zum Tanz. Warum?

Sophie Yukiko: Ein großer Grund dafür, dass ich immer wieder tanzend performe oder mit Tanz arbeite, ist, weil die Branchen, in denen ich versuche, als Autorin und Schauspielerin Fuß zu fassen, wahnsinnig unzugänglich sind, vor allem für nicht-akademisch ausgebildete Künstler*innen. Der Glaube, dass Kunstmachen nur dann legitim ist, wenn man zuvor eine renommierte Institution besucht und deren Ausbildung erfolgreich durchlaufen hat, hält sich in Deutschland hartnäckig. Dass ein ganzes Leben künstlerischer Arbeit und Erfahrung jenseits von Institutionen einem durchaus auch ein künstlerisches Handwerk beibringen kann, wird nicht gesehen. Ich lande also auch deswegen immer wieder beim Tanz, weil ich als Tänzerin – und oft auch ausschließlich als Tänzerin und nicht als Künstlerin - gesehen werde. Ich drehe mich dabei jedoch im Kreis, denn bei all der Ablehnung, die ich in den letzten Jahren erfahren habe, ist es – genau wie in der Kindheit – eben genau der Tanz, in dessen Armen ich dann Trost suche und finde und daran erinnert werde, wer ich bin und was ich will.

ZOE: Wie würdest du die Lebensrealität von dir und von Menschen in deinem Umfeld, die in den Freien Darstellenden Künsten unterwegs sind, für jemanden, der keine Berührung zu dieser Realität hat, beschreiben ?

Sophie Yukiko: Es ist eine total seltsame Realität. Denn als erfahrene Künstlerin in Berlin hat man irgendwann Zugänge zu Orten, die mit Prestige belegt sind. Man wird zu Premieren und Vernissagen eingeladen, man kennt Regisseur*innen, Produzent*innen, Publizist*innen und man selbst wird ja auch erkannt. Doch ich habe vor ein paar Tagen einen Kassensturz für meine Projekte in 2025 gemacht und die Rechnung geht, trotz vieler Angebote und fast hundertprozentiger Auslastung, vorne und hinten nicht auf. Es ist ein Leben in der unteren Einkommensklasse. Wenn jemand nun nicht in der glücklichen Position ist, viele Angebote zu erhalten, der kann in der freien Szene als Performerin eigentlich gar nicht mehr überleben. Es geht eigentlich nur noch mit Grundförderungen und Stipendien, von denen wiederum viele Personen ausgeschlossen werden. Und diese Förderungen werden immer weniger.

In Deutschland herrscht die Vorstellung, dass gering verdienende Menschen ungebildet sind und Jobs haben und ausführen, die wir nicht mit Prestige assoziieren. Wenn es um Klasse heute geht, sind die betroffenen Biografien und Realitäten jedoch meistens viel komplexer. Sie lassen sich nicht nur über Orte, an denen sie stattfinden, definieren, sondern sind ein komplexes Geflecht aus Bildung, Netzwerken, kulturellem Kapital und individuellen Biografien, Einkommen und Beruf.

ZOE: Das ist eine aufschlussreiche Beobachtung, die Diskrepanz zwischen Prestige und tatsächlichen Ressourcen. Und die tatsächlichen Ressourcen in Form von Förderungen sinken grad stetig und treffen die Freien Darstellenden Künste besonders hart. Wie blickst du auf die aktuelle kulturpolitische Lage in Berlin, in der die Kürzung letztes Jahr eine Haltung signalisiert hat, die den gesellschaftlichen Stellenwert von Diversität und Inklusion nicht nur ignoriert, sondern auch abwertet?

Sophie Yukiko: Ich ziehe mich warm an und kremple die Ärmel hoch. Denn wenn ich ohnehin keine finanzielle Stabilität haben kann, dann will ich wenigstens noch ein wenig auf den Tisch hauen und unbequem sein.

ZOE: Ärmel hochkrempeln ist das Gebot der Stunde. Wenn man den Anstieg rechter Gesinnung beobachtet, bleibt einem auch nichts anderes übrig, es wird unsicherer hier und das nicht nur finanziell. Als Künstlerin, Frau, Schwarze und Queere Person. Mit welchen Hoffnungen und Ängsten blickst du auf die kommenden vier Jahre nach der Wahl?

Sophie: Meine Ängste sind tatsächlich gerade leiser, weil alles, vor dem ich mich die letzten zehn Jahre gefürchtet habe, so und noch schlimmer eingetreten ist, so dass ich jetzt weiß, dass ich meiner Einschätzung durchaus trauen kann. Vor uns liegt Chaos und Wahnsinn, und ich glaube, dass Kunst in genau diesen Zeiten gefragt ist, um zu archivieren, was passiert und um aufzuzeigen, wie weh es tut. Meine Hoffnung ist, dass sich durch diese Zeit solidarische Kompliz*innenschaften entwickeln, die dann wiederum wirklich etwas bewegen können. Im Herz, im Kopf, in der Kultur und dadurch letztendlich auch – denn sie lässt sich immer durch Kultur lenken – in der Politik.

 

Kommentar:
In diesem Sinne: Happy Womens History Month. Aber wieviel Grund haben wir zum Feiern? Anlässlich des Internationalen Frauentags 2025 hat Verdi mehrere Beiträge zur Gender PayGap zwischen den selbständigen Künstler*innen im Kulturbetrieb veröffentlicht sowie eine Analyse darüber, wie die Kürzungen das Problem verschärfen.
Dabei wird klar: Nicht nur leben freie Künstler*innen finanziell häufig in prekären Verhältnissen, das Verdienstgefälle zwischen männlichen und weiblichen Künstler*innen ist zudem sehr groß. Was wir kulturpolitisch brauchen, sind, neben generell mehr Ressourcen, konkrete Programme, die für den Chancenausgleich in der freien Kunst- und Kulturszene sorgen. Hierfür möchten ich, stellvertretend für die Ethik-Kommission, auf die Statistik und Forderungen von Verdi Kultur hinweisen:

Gender Pay Gap in der Kultur weiter gestiegen
https://kunst-kultur.verdi.de/schwerpunkte/soziale-lage/zahlen-daten-fakten/++co++8608d6ac-f809-11ef-9081-91171a2ed43f

Für mehr Infos über Sophie Yukiko und ihre Gedanken zum Theater, lest ihren letzten Artikel für das Schirnmag, eine Reflexion über Machtsysteme, Hierarchien, Diversität und Veränderung
“Das große Theater“,
https://www.schirn.de/schirnmag/das-grosse-theater/

31.01.2025
Aufruf zum Wählen, nutzt eure Stimme!

Die Ethik-Kommission des DTD setzt sich für ein diskriminierungssensibles, respektvolles und sicheres Umfeld im Tanz ein. Diese Grundsätze für die Tanzlandschaft sind nur in einer demokratischen und toleranten Gesellschaft realisierbar. In Zeiten jedoch, in denen eine in Teilen gesichert rechtsextreme und somit anti-demokratische Partei eine hohe Wählerschaft vorweisen kann, ist es wichtig, sich klar zu positionieren. Mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen möchten wir alle dazu aufrufen, die eigene Stimme zu nutzen und wählen zu gehen. 

In der Bundestagswahl 2021 haben ca. ein Viertel aller Wahlberechtigten ihre Stimme nicht genutzt. Eine geringe Beteiligung kann extremen Parteien helfen, überproportionalen Einfluss zu gewinnen und im Endeffekt nur im Sinne eines kleinen Anteils der Gesellschaft zu handeln. Wählen ist ein Privileg, das unbedingt genutzt werden muss. Die Demokratie, die die Basis für eine freie Kunst- und Kulturlandschaft bildet, gilt es zu schützen und zu unterstützen. In Solidarität für all die Tanzschaffenden, die die Deutsche Tanzszene mit gestalten und insbesondere für diejenigen unter ihnen, die kein Wahlrecht haben, rufen wir dazu auf, wählen zu gehen. 

Nutzt eure Stimme am 23.02.2025!

11.12.2024
Berlin spart - Statement

Berlin spart und damit leidet der Bereich der Inklusion und Diversität in Kunst und Kultur und auch im Tanz. Der Diversitätsfonds (IMPACT-Förderung) wird wohl gestrichen und mit ihm die Förderung von Projekten von Gehörlosen und behinderten Kulturarbeitende. Die Stiftung Kulturelle Weiterbildung soll abgeschafft werden, ebenso das Projektbüro von Diversity Arts Culture und das Institut für kulturelle Teilhabeforschung (IKTf). Insbesondere die Arbeit des Projektbüros Diversity Arts Culture ist im Bereich der Beratung von Institutionen und Kulturarbeitenden, bezogen auf den Abbau von Barrieren und Diskriminierung, bundesweit einzigartig und beispielhaft. Das IKTf analysiert das Publikumsverhalten und hat sich als erforderliches Instrument erwiesen, neue Publikumskreise zu erschließen und Vielfalt in der Teilhabe zu ermöglichen. Die Diversitätsoffensive droht gestrichen zu werden, ein Förderprogramm, das Diversitätsentwicklungen an Berliner Institutionen vorantreibt.

Die drastischen Sparmaßnahmen trifft Behinderte, Gehörlosen und chronisch erkrankte Kulturarbeitende, sowie Kulturarbeitende, die von Rassismus, Antisemitismus, Trans*- und Interfeindlichkeit betroffen sind besonders stark.

Die Berliner Diversitätsmaßnahmen haben bisher erfolgreich zu einer demokratischen Kunstlandschaft beigetragen. Ihr Abbau ist ein starker Rückschritt in der Kulturentwicklung. Er fördert Ungerechtigkeit in der Ressourcenverteilung und ermöglicht damit Machtmissbrauch und Ausbeutung. Dies braucht eine breite Solidarität von uns allen. Die Ethik-Kommission des Dachverband Tanz Deutschland kritisiert von daher diese Maßnahmen aufs Schärfste und fordert eine Korrektur.

 

23.10.2024
Soziale Beziehungen und Gesundheit im Tanz - eine unverzichtbare Allianz
Warum ethische Prinzipien als tanzmedizinisches Präventionsinstrument in Betracht gezogen werden sollten

1. Die Gesundheit der Menschen wird auch durch ihre sozialen Beziehungen bestimmt

Aus biologischer Sicht gehört der Mensch zu einer Gruppe und kann nur als Mitglied einer Gemeinschaft gesund funktionieren, wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen auf Vertrauen, emotionaler Sicherheit, Unterstützung, transparenter Kommunikation, Kooperation und Solidarität beruhen[1]. Soziale Beziehungen wirken sich direkt auf das zentrale Nervensystem, die Gedächtnisbildung, den Tonus von Sympathikus- und Parasympathikus, die neuro-endokrinen Systeme, die Entzündungsmodulation und die Hormonregulation (z. B. Cortisol, Sexualhormone usw.) aus[2]. Studien belegen, dass ein ausgeprägtes pro-soziales Verhalten eine genetische, organische und neurologische Grundlage hat[3], und damit aus evolutionärer Sicht die soziale Integration ein Schlüssel zum Überleben des Menschen ist. Von daher stellen Ausgrenzung oder Marginalisierung aus der Gruppe sowie Ablehnung, alle Arten von Diskriminierung (einschließlich sexueller Belästigung), emotional missbräuchliche oder ausbeuterische Beziehungen, Schikane und Mobbing, übermäßige Machtkonzentration und dysfunktionale Machtasymmetrien einen nicht zu unterschätzenden Stressfaktor dar[4]. Auch ermöglichen soziale Beziehungen einen besseren Zugang zu geeigneten Gesundheitsdiensten und beeinflussen somit alle drei Aspekte des bio-psycho-sozialen Modells der Gesundheit.

2.  Ethische Prinzipien in den Darstellenden Künsten

Eine der grundlegenden Determinanten sozialer Interaktionen sind die ethischen Normen, an denen sich Gemeinschaften orientieren; sie haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Einzelnen[5]. Ethische Prinzipien basieren auf einer gemeinsamen Vereinbarung einer Gruppe über Wertentscheidungen. Sie prägen die moralischen Grundsätze des zwischenmenschlichen Miteinanders, d. h. was in der Gruppe als richtig und was als falsch angesehen wird. Einige dieser Grundsätze sind gesetzlich kodifiziert, andere sind ungeschriebene Regeln (wie z.B. Höflichkeitsformen), und wieder andere spiegeln sich in kollektiv vereinbarten und normativen, aber nicht gesetzlich festgelegten Leitlinien wider. In den darstellenden Künsten müssen ethische Fragen komplex angegangen werden, denn künstlerisches Schaffen gerät oft in Widerspruch zu ethisch akzeptablen Verhaltensweisen. So stellte der Dramaturg Björn Bicker 2020 fest: „Viele Menschen in Theaterberufen haben keine Lust mehr in einem Klima der Angst und Überforderung zu arbeiten. Seit Jahren wird die unerträgliche Diskrepanz zwischen fortschrittlich-emanzipatorischem Gestus auf der Bühne und dem patriarchalen, ausbeuterischen, auf Willkürherrschaft basierenden Arbeitsalltag hinter den Kulissen beklagt.[6]” Im 21. Jahrhundert ist das Recht des Einzelnen auf Gesundheit als ein grundlegendes Menschenrecht definiert, aber in den darstellenden Künsten, einschließlich des Tanzes, führt dies oft zu Konflikten mit der künstlerischen Freiheit. Diese Interessenkonflikte müssen an runden Tischen, in offenen Foren und auf Konferenzen erörtert werden, zumal das Ungleichgewicht der Macht bedeutet, dass Aspekte des Gesundheitsschutzes von Natur aus benachteiligt sind (z. B. Choreograf*in/künstlerische*r Direktor*in vs. Tänzer*in, Ballettmeister vs. Tanzstudent*in).

3. Wie können ethische Prinzipien die Gesundheitsförderung im Tanz unterstützen?

Muskel-Skelett-Erkrankungen, akute Verletzungen sowie endokrinologische Probleme und psychische Erkrankungen (z.B. Essstörungen, PTBS)[7] sind bei professionellen Tänzer*innen überrepräsentiert[8]. Wenig Aufmerksamkeit wird trotz zahlreicher tanzmedizinischer Befunde den Auswirkungen sozialer Tanzgemeinschaften auf die individuelle Gesundheit geschenkt. Ausgearbeitete ethische Leitlinien, durch die Transparenz, Anti-Missbrauch und Anti-Diskriminierung gefördert werden, fehlen.[9] So gilt es für die Praxis, schriftliche Ethikleitlinien und Verhaltenskodizes zu entwickeln, Beratungsangebote, regelmäßige Schulungen und Coachings anzubieten sowie Maßnahmen zu Organisationsdiagnostik und Monitoring einzuführen. Ethikleitlinien sollten eine klare Unterscheidung zwischen akzeptablen und inakzeptablen Verhaltensweisen aufweisen, eindeutige Definitionen (Body Shaming, Mobbing, Belästigung, transparente und durchsetzungsfähige Kommunikation usw.) beinhalten, Wege der Beschwerdebearbeitung und Sanktionen sowie Schutzmaßnahmen aufzeigen (s. dazu das Muster einer Betriebsvereinbarung des DTD[10].) Mit der konsequenten Berücksichtigung sozialer Aspekte von Gesundheit ist ein erweitertes Gesundheitsbewusstsein, somit eine Verringerung der Risikofaktoren für die psychische und physische Gesundheit zu erwarten. Auch kann ein demokratischer Zugang zu Gesundheits- und Rehabilitationsdiensten eine schnellere und professionellere Rehabilitation ermöglichen und nicht zuletzt auch eine Senkung der Kosten bewirken. Für Künstler*innen kann dies mehr Raum für freies, innovatives Schaffen und eine auf guter Gesundheit basierende Selbstdarstellung ermöglichen.

Boglárka Simon-Hatala


[1] Holt-Lunstad, J. (2018). Why social relationships are important for physical health: A systems approach to understanding and modifying risk and protection. Annual review of psychology, 69(1), 437-458.

[2] Sbarra, D. A., & Coan, J. A. (2018). Relationships and health: The critical role of affective science. Emotion Review, 10(1), 40-54.

[3] Woo, B. M., Tan, E., & Hamlin, J. K. (2022). Human morality is based on an early-emerging moral core. Annual Review of Developmental Psychology, 4(1), 41-61.

[4] Cacioppo, J. T., & Cacioppo, S. (2014). Social relationships and health: The toxic effects of perceived social isolation. Social and personality psychology compass, 8(2), 58-72.

[5] https://www.britannica.com/topic/ethics-philosophy 

[6] https://web.archive.org/web/20200723133559/https://www.br.de/kultur/bjoern-bicker-theater-der-zukunft-100.html 

[7] Thomson, P., & Jaque, S. (2015). Posttraumatic stress disorder and psychopathology in dancers. Medical problems of performing artists, 30(3), 157-162.

[8] Jacobs, C. L., Cassidy, J. D., Côté, P., Boyle, E., Ramel, E., Ammendolia, C., ... & Schwartz, I. (2017). Musculoskeletal injury in professional dancers: prevalence and associated factors: an international cross-sectional study. Clinical Journal of Sport Medicine, 27(2), 153-160.

[9] Jackson, N. M. (2022). Dance and Ethics: Moving Towards a More Humane Dance Culture. Intellect.

[10] https://www.dachverband-tanz.de/fileadmin/dateien_DTD/Muster_DV_BV_01.04.2023___Dokument_mit_allen_Anha%CC%88ngen_.pdf

 

13.08.2024

Gedanken zu den Kürzungen der Fördergelder des Bundes Kunst und Kultur Fonds

Die Ethik-Kommission des Dachverband Tanz Deutschland warnt vor den vom Bund beabsichtigten Mittelkürzungen für die Freie Szene und den damit zusammenhängenden Diskriminierungen und Machtgefällen.

Künstler*innen und Kulturschaffende im Tanzbereich leben zu einem großen Teil schon jetzt in prekären Situationen. Zur finanziellen Absicherung müssen, neben dem künstlerischen Schaffen, häufig noch Nebentätigkeiten ausgeübt und um die nächste Projektzusage gebangt werden. Die derzeitigen Förderrichtlinien sind bereits mit hohen Auflagen verbunden. Sie setzten ständige Innovation und neue Ideen vor raus, so dass Projekte nicht wiederholt und nur in Ausnahmefällen weiterentwickelt werden können. All diese Strukturen, verbunden mit einem hohen bürokratischen Aufwand, machen ein nachhaltiges Arbeiten derzeit schon kaum möglich.

Die geplanten Mittelkürzungen und die Auflösung des Etats für das Bündnis Internationale Produktionshäuser, gefährden die faire Ausübung des Tanzberufes und bedrohen den Fortbestand der Freien Szene. Mangelnde finanzielle, materielle und personelle Mittel haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die künstlerische Qualität, sondern auch auf den zwischenmenschlichen Umgang miteinander. Faire Honorare, faire Arbeitszeiten und gut ausgestattete Teams sind für ein ethisches Miteinander unabdingbar. Mit den Bestrebungen des Bundes werden ethische Grundsätze (wie Anti- Diskriminierung, Sensibilität für strukturelle Machtgefälle und sexualisierte Gewalt), für die sich die Ethik-Kommission einsetzt, außer Kraft gesetzt. Wir bewegen uns mit solchen Maßnahmen rückwärts.

Durch die politische Entscheidung distanzieren sich die Vertreter*innen des Bundes von den Lebensrealitäten und Bedürfnissen eines Großteils der Bevölkerung und schließen durch die Schwächung der freien Kulturszene weniger Privilegierte von Kunst und Kultur aus. Durch die geplanten Maßnahmen werden Hierarchien strukturell gestärkt und das Kreieren und Konsumieren von Kunst und Kultur wird (wieder) ein Privileg, zu dem nur wenige Zugang haben. Die Freie Szene ist der Kunstraum, der der Lebensrealität vieler Menschen am nächsten ist. Sie greift politische Phänomene auf und reflektiert sie, schafft Raum für Debatten und löst manchmal sogar soziale Bewegungen aus.

Die Bevölkerung hat ein Recht auf ein solches Angebot, denn nur eine starke Freie Szene repräsentiert die echte Vielfalt unserer Gesellschaft und eine starke Demokratie.

Um die Freie Kunst, insbesondere den Tanz als Kunstgattung und ihre Akteur*innen dauerhaft vor Diskriminierung zu schützen und existenziell zu stärken, fordert die Ethik Kommission des DTD eine unverzügliche Revision und Korrektur der Kürzungsbeschlüsse.

 

 

26.06.2024

Sexualisierte Gewalt[1] in der Tanzvermittlung – (k)ein Thema?!

Im März dieses Jahres setzte der Deutsche Kulturrat in seiner monatlich erscheinenden Zeitung „Politik und Kultur“ einen Schwerpunkt auf das Thema „sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb“. Überschrieben ist die 20 Beiträge umfassende Sammlung mit dem Aufruf „Hinschauen und Handeln“. Dass nicht nur eine Sensibilisierung für sexualisierte Gewalt in Musikschulen, Amateurtheatern, öffentlichen Bibliotheken, künstlerischen Hochschulen oder kultureller Kinder- und Jugendbildung notwendig ist, sondern auch Präventionskonzepte und Schutzmaßnahmen unerlässlich werden, machen die Beiträge eindrücklich deutlich. Leider trifft dies für den Beitrag aus der Tanzpädagogik nicht zu. Existiert das Problem hier nicht? Sind die Körperlichkeit von Tanz sowie die Nähe-Distanz-Antinomie (tanz-)pädagogischen Handelns nicht besonders anfällig für sexualisierte Grenzüberschreitungen, ob beabsichtigt oder nicht?

Wir wissen es nicht!

Es gibt keine Daten, auch keine Öffentlichkeit für das sensible und ausgesprochen schambesetzte Thema. Umso genauer müssen wir hinschauen. Aber selbst dann wissen wir nicht, wie Kinder und Jugendliche sich und ihren Körper in tanzpädagogischen Settings erleben. Gerade in dem Alter bis etwa 10 oder 12 Jahren sind sie nicht in der Lage, als unangenehm empfundene Berührungen, verbale Belästigungen oder voyeuristische Betrachtungen als sexualisierte Übergriffigkeiten zu erkennen, einzuordnen, geschweige denn zu benennen (vgl. UBSKM 2014). Erst aus der Retrospektive werden missbräuchliche Handlungen als solche erkannt. Das macht es besonders schwer, einschätzen zu können, ob das Feld der Tanzpädagogik und -vermittlung überhaupt oder besonders gefährdet ist.

Was wir wissen

Was wir allerdings seit 2010 wissen, ist, dass so ziemlich jeder gesellschaftliche Bereich, vornehmlich in besonders vertrauenswürdig erscheinenden Kontexten wie Familie, Kirche, Schule, KiTa oder Sportverein Schauplatz von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist (Apin 2020, S. 9). Insbesondere die umfassenden und zugleich im Umfang und Ausmaß erschütternden Forschungsergebnisse aus dem Sport sollten uns nachdenklich machen (vgl. Zwischenbericht der Sicher-im-Sport-Studie von 2021). Im Sport steht wie im Tanz der Körper als Empfindungs-, Bewegungs-, Ausdrucks- und Sozialorgan im Mittelpunkt. Taktile Kontakte sowie Berührungen sind selbstverständlicher Bestandteil von Bewegungsabläufen wie auch Hilfestellungen und können als übergriffig wahrgenommen werden. Wenig variable Kleiderordnungen oder beiläufige sexistische Bemerkungen treffen die Heranwachsenden an einem besonders sensiblen und verletzlichen Ort: dem eigenen Körper. So unterliegen die Körper von Kindern und Jugendlichen den Beurteilungen ihrer Trainer*innen, Choreograf*innen oder Tanzpädagog*innen und damit einem impliziten Machtgefälle. Die potenziellen Risiken sexualisierter Gewalt sind von daher immer auch konstitutiver Bestandteil tanzpädagogischer Settings.

Was zu tun ist

  • Hinschauen, Aufmerksam werden und machen auf die individuell wie institutionell bedingten Risiken.
  • Über Selbstverständlichkeiten in der Vermittlungsarbeit sprechen, auch oder besser: vor allem mit den Kindern und Jugendlichen.
  • Thematisierung der Problematik sexualisierter Gewalt im Tanz und in der Tanzvermittlung als fester Bestandteil von Aus-, Fort- und Weiterbildungen sowie regelmäßige Erfolgsprüfungen.
  • Schulung und Qualifizierung von Fachkräften als Voraussetzung für An- und Einstellungen sowie entsprechende Prüfungen in Schulen und Bildungseinrichtungen.
  • Entwicklung verpflichtender Präventions- und Schutzkonzepte für das eigene Arbeitsfeld[2].

Last but not least

  • Qualifikationen wie Führungszeugnisse, Schulungen, Schutz- und Präventionskonzepte als Kriterium für die Förderung von Projekten und die Anerkennung privater Schulen.

Denn es ist nicht die Aufgabe der Betroffenen, den Kindern und Jugendlichen, Übergriffe oder die als übergriffig empfundenen Handlungen zu melden, sondern es ist Aufgabe der Erwachsenen, der Organisationen und Einrichtungen, sich über die eigenen Strukturen sowie Handlungen Klarheit zu verschaffen, um einen sicheren Raum für die Entwicklung von Heranwachsenden im und durch Tanz anbieten zu können.

Antje Klinge

 

Quellen:

Apin, N. (2020). Der ganz normale Missbrauch. Wie sich Missbrauch gegen Kinder bekämpfen lässt. Ch. Links-Verlag.

UBSKM. Unabhängige Beauftragte des sexuellen Kindesmissbrauchs (2014). Zahlen und Fakten. Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Zugriff unter https://beauftragte-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Zahlen_und_Fakten/Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_UBSKM.pdf.

Forschungsprojekt SicherImSport (2021). Factsheet zum Abschluss der Datenerhebungen / Zwischenauswertung. Zugriff am 18.06.2024 unter: https://www.sportsoziologie.uni-wuppertal.de/fileadmin/sportsoziologie/Projekte/FactSheet_SicherImSport_Zwischenbericht.pdf.

 


[1] Sexualisierte Gewalt liegt in einem strafrechtlichen Graubereich und reicht von verbalen Belästigungen über voyeuristisches Betrachten des kindlichen Körpers bis zu (nur scheinbar unabsichtlichen) flüchtigen Berührungen von Brust oder Genitalbereich. Stets strafbare Missbrauchshandlungen umfassen sexuelle Handlungen am Körper des Kindes (hands-on) wie zum Beispiel Zungenküsse oder Manipulationen der Genitalien sowie schwere Formen sexueller Gewalt wie orale, vaginale und anale Penetration (vgl. UBSKM. Unabhängige Beauftragte des sexuellen Kindesmissbrauchs 2014).

[2] Orientierungshilfen bieten z. B. die Konzepte der BKJ (https://www.bkj.de/grundlagen/praevention-und-kindeswohl/) und der LAG Tanz NRW (https://www.lag-tanz-nrw.de/praeventionsarbeit/unser-schutzkonzept).

 

 

Nach oben

02.04.2024

Wie sieht es im Tanzparadies Deutschland aus?

63 Tanz- und Ballett-Kompanien gibt es in Deutschland. 10 davon bestehen aus mehr als 30 Tänzer*innen und gehören zu den renommiertesten auf der Welt. Diese Kunstgattung hat sich in den letzten 40 Jahren sowohl künstlerisch als auch tanztechnisch enorm entwickelt. Die physische und psychische Beanspruchung ist sehr belastend und sorgt oft für eine sehr kurze Karriere. Daher brauchen Tänzer*innen Schutzvorschriften, um sich vor Verletzungen, Unfällen und psychischer Belastung zu schützen.

Eine dieser Schutzvorschriften ist der Tarifvertrag NV-Bühne. In diesem Regelwerk wird in verschiedenen Sonderregelungen (SR) zwischen Solo-Tänzer*innen und Gruppen-Tänzer*innen unterschieden. Während in SR-Tanz für Tanzgruppenmitglieder bessere Arbeitszeiten- und Bezahlungsregelungen festgehalten sind, beinhaltet SR-Solo für Tanzsolist*innen weitaus weniger. Für Tanzgruppenmitglieder wird wöchentlich ein freier Werktag und ein halber freier Tag - der nicht auf einen Vormittag eines Sonntags oder eines Wochenfeiertags fallen darf - gewährt. Die SR-Tanz regelt auch Entgeltgruppen, die auf dem gleichen Niveau wie Opernchormitglieder sind und die sich an der Orchester-Bezahlung in den jeweiligen Häusern orientiert. Bei Tanzsolist*innen sind die Regelungen der freien Tage und der Bezahlung viel schlechter geregelt.

Diese Unterschiede stellen einen Widerspruch dar. Gerade die Solist*innen, die mehr Belastung und Verantwortung haben, bekommen die kleinere Gage und haben weniger Regenerationsphasen. Vor 1990 bestanden die Kompanien aus ca. 75 % Tanzgruppenmitgliedern und ca. 25 % Tanzsolist*innen. Heute ist es umgekehrt. Überwiegend werden meistens nur noch Solo-Verträge vergeben, mit der Verpflichtung bei Gruppenaufgaben mitzuwirken. Die Arbeitgeber*innen behaupten, dass diese Art Verträge künstlerisch geboten sind, da die Art des Choreographierens sich in den letzten Jahren verändert hat und es eine hierarchische Unterscheidung in einer Kompanie nicht mehr gibt. Fakt ist, dass die seit den 90er Jahren umgesetzten Einsparungen den Tanz am meisten getroffen haben. Der*die Arbeitgeber*in zahlt den Solist*innen weniger Gehalt und kann über sie mehr verfügen.

Meistens werden die Solotänzer*innen als Gruppentänzer*innen eingesetzt. So können die Häuser auf Kosten der Künstler*innen sparen. Gerade die Sparte mit den besten Auslastungszahlen und großer Beliebtheit beim Publikum wird im Theater am Schlechtesten bezahlt. Schnell entledigt man sich von Tänzer*innen, wenn nach einer Verletzung oder altersbedingt die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Dann folgt sehr oft die Berufsaufgabe. Große Bewunderung beim Publikum und schlechte Behandlung von Arbeitgeber*innen liegen nah beieinander. Die schlechten Bedingungen bleiben im Verborgenen, da es sich in diesem Beruf um unerfahrene junge Menschen handelt, die ihre Rechte nicht kennen und aus Angst nichtverlängert zu werden, über die Missstände schweigen.

Nun werden die Tänzer*innen durch Dancersconnect und die Bühnengewerkschaft (GDBA) über ihre Rechte gut aufgeklärt. Dies führte zu einer erstaunlichen Entwicklung. Während es 2017 knapp 200 Mitglieder bei der Bühnengewerkschaft (GDBA) gab, sind es heute mehr als 870 Tänzer*innen.

Egal wie viel Bewunderung und Anerkennung die Tänzer*innen erfahren, nur sie selbst können für Verbesserung ihrer Situation sorgen. Nach dem Motto: „man bekommt das, was man verhandelt und nicht das, was man verdient“. Für eine ethische Behandlung sollen sich die Tänzer*innen Verbündeten anschließen – wie der GDBA, der Ethik-Kommission Tanz oder Dancersconnect. Ziel müsste sein, dass es nur noch eine Sonderregelung Tanz gibt, die Solo- und Gruppentänzer*innen umfasst. Nur so können eine faire Bezahlung und zumutbare Arbeitszeiten erreicht werden. Aus dem künstlerischen Bereich könnten die Orchester hier als Vorbild dienen, da sie mit ihrer Solidarität untereinander bewiesen haben, dass Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert werden können.

Adil Laraki, März 2024

 

 

Nach oben

06.12.2023

Newsletter Beitrag der Ethik-Kommission

Vorwort und Einordung:

Es ist sehr schwer, die Ereignisse im Nahen Osten in Gänze zu erfassen und verstehen.
Wir ringen um die 'richtigen' Worte und wissen gleichzeitig, dass sie nie für jeden die 'richtigen' sein können. So haben auch wir keinen einstimmigen Konsens herstellen können...
Dennoch wollen wir nicht schweigen.

Gedanken der Ethik-Kommission des DTD zum Nahost Konflikt

Wir sind zutiefst erschüttert und besorgt angesichts der menschenverachtenden Gewalt im Nahen Osten. Unser Mitgefühl gilt all denjenigen, die Opfer der eskalierenden Gewalt durch die Hamas-Terrorangriffe und durch die israelischen Streitkräfte in Gaza sind. Die in Folge verhärteten, polarisierenden und feindseligen Reaktionen auf unseren Straßen und in den sozialen Medien sind beunruhigend und fordern unsere plurale Gesellschaft heraus.

Als Ethik-Kommission des Dachverbands Tanz Deutschland fragen wir uns, was die Kunst und der Tanz beitragen können, um den Diskurs zu fördern und Ambivalenzen auszuhalten. Unser Blick richtet sich auf den menschlichen Körper.

Nationale, ethnische, religiöse und kulturelle Zuschreibungen werden häufig unreflektiert am Körper festgemacht. Der Tanz in seinen vielfältigen Formen kann als künstlerisches Mittel Zuschreibungen aufrütteln, so dass jeder Einzelne als Mensch gesehen wird.

Deshalb möchten wir ins Handeln kommen und den nächsten Reisenden Salon als Plattform für den einen weiteren Austausch nutzen. In Deutschland lebenden, unmittelbar betroffenen Tanzschaffenden unterschiedlicher Herkunft, religiöser Orientierung und Körperlichkeit wollen wir zuhören und gemeinsam überlegen, wie und was insbesondere der Tanz zur Schaffung eines respektvollen Miteinanders beitragen kann.

 

 

Nach oben

09.11.2023

Newsletter Beitrag der Ethik-Kommission

Die Ethik-Kommission des Dachverband Tanz Deutschland DTD

Es gibt keine machtfreien Räume - auch nicht im Tanz. Als Kunstform, in der der Körper im Zentrum steht, bedarf der Tanz besonderer Aufmerksamkeit. Die Beschäftigung mit der Thematik Macht und Machtmissbrauch im Tanz ist daher essenziell.

Der Dachverband Tanz Deutschland hat die Problematik von Machtmissbrauch, Grenzüberschreitung und Diskriminierung (wie sexuell, rassistisch, ethnisch, Körper, Verträge) erkannt. Er installierte vor vier Jahren eine Ethik-Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel, Unterlagen für eine zukünftige Ethik-Kommission zu entwerfen. Im November 2021 wurde die Ethik-Kommission offiziell eingerichtet.

Die Kommission besteht aus acht Mitgliedern, paritätisch gewählt von der MV und vom Vorstand des DTD, einer Verbindungsperson zum DTD sowie einer Mitarbeiterin des DTD-Teams, welche administrativ unterstützt. Die Mitglieder bringen wichtige unterschiedliche Expertisen mit: juristische, theoretisch-wissenschaftliche, medizinisch-psychosomatische, mental und physisch gesundheitliche, tanzkünstlerische (urbaner, klassischer, zeitgenössischer und afrikanischer Tanz), gewerkschaftliche, tanzpädagogische und tanzforschende. Alle arbeiten ehrenamtlich, sie erhalten ein Sitzungsgeld.

Als erste Aufgabe stand eine Recherche an: Inwiefern sind Arbeitsbedingungen im Bereich Tanz bereits erforscht? Welche persönlichen und beruflichen Rechte haben Beschäftigte im Bereich Tanz? Welche Studien zu Ethik, Machtmissbrauch und Tanz liegen vor? Für diese Recherchen waren die unterschiedlichen Expertisen sehr hilfreich. Daraus ergaben sich Themenfelder, die in Untergruppen systematisch bearbeitet werden. Konkrete Ideen flossen in die Kommissionssitzungen ein und wurden gemeinsam weiterbearbeitet.

Im Juni 2023 konnte die Kommission mit einem ersten Ergebnis an die Öffentlichkeit treten: das Online-Portal wurde aufgeschaltet. Zentral für die Kommission sind deren Ethikleitlinien (s. https://www.dachverband-tanz.de/ueber-uns/ethik-kommission). Das Online-Portal ist in zurzeit sechs Bereiche unterteilt. Der Bereich Materialien enthält Informationsmaterial über rechtliche, strukturelle, vertragliche Grundlagen sowie praktische Handlungsanweisungen und eine Sammlung wertvoller Quellen.

Recherchen haben gezeigt, dass der Institutionalisierungsgrad in Ausbildungsinstitutionen besonders hoch ist und zu Konflikten führen kann. Mit einem Online-Test lädt die Kommission zur Selbsteinschätzung ein, die die Tanz-Organisationen für die hausinterne Entwicklung diskriminierungsarmer Strukturen nutzen können.

Unter Good Practice Beispielen werden Institutionen und ihre jeweils konkreten Maßnahmen diskriminierungssensibler, demokratischer und arbeitnehmer*innenfreundlicher Strukturen in einem ca. 15-minütigen Video vorgestellt.  Die Videos, die in regelmäßigen Abständen gelauchnt werden, enthalten eine kurze Einleitung in das Thema und seine rechtlichen und politischen Implikationen sowie ein Interview mit einer*einem Alltagsexpert*in.  Anwendung und Praxis diskriminierungssensibler Maßnahmen, Herausforderungen und Lösungsansätze stehen im Vordergrund.

Mit der Liste branchenspezifischer, bundesweiter wie regionaler Anlaufstellen wird aufgezeigt, welche Beratungsmöglichkeiten bereits existieren; die Liste wird laufend erweitert.

Das Forum öffnet einen Raum für eigene Erfahrungen sowie den Austausch unter Tanzinteressierten und Betroffenen.

Schließlich werden unter Termine Veranstaltungen rund um das Thema Ethik und Tanz angekündigt. Im Aufbau befindet sich der «Reisende Salon», ein Format, respektvollen Austausch und Diskurs in der Szene in einem informellen Rahmen und in regelmäßigen Abständen an unterschiedlichen Orten zu einem ausgewählten Thema zu fördern.  

Die Ethik-Kommission strebt mit ihrem Wirken einen Beitrag zu vermehrter Transparenz an. Sie will Grundlagen zu bewusstem ethischem Handeln legen, um für unzulässige Grenzüberschreitungen zu sensibilisieren bzw. zu vermeiden und die Wertschätzung aller im Tanz Tätigen zu steigern. Die Herausforderungen werden sein, Schutz und Anonymität zu gewähren sowie eine Niedrigschwelligkeit für Betroffene zu ermöglichen. Last but not least: das Fass, das die Ethik-Kommission öffnet, muss sie auch bedienen und mit ihren eigenen Ressourcen bewältigen können. Von daher kann sie selbst nicht die Funktion einer Beratungsstelle übernehmen, allerdings nützliche Informationen, Quellen, Verweise und Anregungen anbieten.

Margrit Bischof, August 2023

 

 

Nach oben